Dokumente der Entrechtung: Landeshauptarchiv veröffentlicht Akten der NS-Finanzverwaltung zu mehr als 40.000 Einzelschicksalen

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Vermögenserklärung von Elly Arnheim

Potsdam, 13. Februar 2024 – Das Brandenburgische Landeshauptarchiv hat heute mehr als 40.000 Akten der nationalsozialistischen „Vermögensverwertungsstelle“ für Berlin und Brandenburg veröffentlicht. Die Unterlagen enthalten Informationen zu Zehntausenden Menschen, die vom nationalsozialistischen Deutschland als jüdisch oder „reichsfeindlich“ verfolgt und ausgeplündert wurden.

Die veröffentlichten Dokumente umfassen 2,5 Millionen gescannte Seiten. Sie dokumentieren, wie die NS-Finanzverwaltung das Vermögen der Verfolgten vor deren Deportation erfasste und im Anschluss zugunsten der NS-Gesellschaft verwertete.

Die Digitalisierung und Bereitstellung der Unterlagen ist Teil eines von Kulturstaatsministerin Claudia Roth finanzierten Projekts zur Forschung nach NS-Raubgut.

In den Quellen sind viele persönliche Angaben zu den NS-Verfolgten zu finden: ihr letzter Wohnsitz, die Namen der Kinder, Geburtsdaten sowie Angaben zu Konten und sonstigem Besitz. „Bis zur letzten im Haushalt vorhandenen Waschschüssel hat die zuständige Finanzbehörde den gesamten Besitz detailliert auflisten lassen und verkauft“, erklärt Julia Moldenhawer, für die Digitalisierung verantwortliche Abteilungsleiterin „Davon zeugen die jetzt in unserer Online-Recherche zugänglichen Akten.“

Teilweise vorhanden sind auch Informationen über Versteigerungen und die Käufer der geraubten Gegenstände – vom Gemälde bis zum Tischtuch. Vor allem aber enthalten zahlreiche in den Akten überlieferte sogenannte „Vermögenserklärungen“ die oftmals letzte persönliche Unterschrift der kurz darauf verschleppten und ermordeten Menschen.

„Diese von den Behörden erzwungenen Unterlagen sind oft die letzten Zeugnisse, die über verfolgte Menschen und ihre Schicksale erhalten geblieben sind“, berichtet Archivdirektor Mario Glauert. „Entsprechend wertvoll sind diese Quellen heute für Angehörige und Forschung. In den nun online veröffentlichten Dokumenten finden sich außerdem zahlreiche Informationen zu Berliner Persönlichkeiten, wie dem Mannschaftsarzt von Hertha BSC, Hermann Horwitz, den die Nazis im April 1943 nach Auschwitz deportierten. Oder zu der erfolgreichen Berliner Fotografin Yva, die ihr Fotostudio aufgeben musste und erfolglos versuchte, zu emigrieren; zu Martha Liebermann, der hochbetagten Ehefrau von Max Liebermann, die sich das Leben nahm, kurz bevor die Gestapo sie abholen sollte.“

Insgesamt sind die Unterlagen in Umfang und Aussagekraft ein einzigartiger Bestand für die Region, der schon seit Jahren international genutzt wird. Das ist nun sehr viel einfacher, eine Reise nach Potsdam ist für diese Unterlagen nicht mehr nötig.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth: „Angesichts des Holocaust, geplant und durchgeführt vom nationalsozialistischen Deutschland, kann es keinen Schlussstrich in unserer Auseinandersetzung mit unserer Geschichte und ihrer Aufarbeitung geben. Die veröffentlichen Akten sind eine wertvolle Forschungsquelle für genau diese Aufarbeitung. Sie belegen eindrücklich wie Jüdinnen und Juden in Deutschland ab 1933 systematisch entrechtet, enteignet und verfolgt wurden. Dank der Digitalisierung durch das Brandenburgische Landeshauptarchiv sind sie ab sofort weltweit zugänglich: Deutschen Museen und internationalen Provenienzforscherinnen und -forschern stehen damit nun mehr als 40.000 weitere Zeitzeugnisse zur Verfügung, um geraubtes und entzogenes Kulturgut zu identifizieren und dessen Rückgabe im Sinne der ‚“Washingtoner Prinzipien“‘ zu ermöglichen.  Das ist unsere fortwährende Verantwortung und deshalb unterstützt die Bundesregierung das Forschungs- und Digitalisierungsprojekt des Landeshauptarchivs gern.“

Hintergrund

Die Onlinestellung der insgesamt 40.460 Akten ist Teil eines Projektes zur Provenienzforschung, das die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien mit insgesamt über 4,4 Millionen Euro finanziert. Ziel des Projektes ist es, anhand der digitalisierten Unterlagen systematisch nach heutigen Standorten NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunstgegenstände zu suchen. Dafür haben die Projektbeteiligten eine elektronische Auswertung entwickelt, die dabei unterstützt, Anhaltspunkte in den Quellen zu finden. Die Provenienzforschung im Landeshauptarchiv setzt die Auswertung noch bis Ende 2026 fort. Gestartet ist das Projekt 2020. Weitere Informationen dazu finden Sie unter: https://blha.brandenburg.de/index.php/projekte/ofp-projekt/


Pressekontakt
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Friederike Scharlau
Tel. 0331 5674-127
E-Mail: friederike.scharlau@blha.brandenburg.de