Die Sammlung Bührle und das OFP-Projekt: Ein enger Zusammenhang

Bild vergrößern: Aktendeckel der AKte zu Käthe Berliner

Seit Oktober 2021 ist die Sammlung des Industriellen Emil Bührle im Kunsthaus Zürich zu sehen. Nach einer Überprüfung der Provenienzforschung zu dieser Sammlung liegt nun der Abschlussbericht vor: Deutlich mehr Kunstwerke als bisher dokumentiert, stammen aus ehemals jüdischem Besitz und dürften als NS-Raub- und Fluchtgut gelten. Für die Tiefenrecherche zu den Kunstobjekten waren die kürzlich vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv digital bereitgestellten Unterlagen der Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg von zentraler Bedeutung.

Bericht zur Sammlung vorgestellt

Emil Bührle, ein deutscher Industrieller, profitierte doppelt vom NS-Regime: geschäftlich durch Waffenlieferungen und privat durch den Erwerb von Kunstwerken jüdischer Sammler*innen, die ihren Besitz oft unter Zwang und unter Wert verkaufen mussten, um ihre Flucht zu finanzieren. Seit Oktober 2021 werden die Werke der Sammlung Bührle im Chipperfield-Bau des Kunsthaus Zürich als Dauerleihgabe gezeigt.

Die bestehende Provenienzforschung zu den Werken wurde nun überprüft. Der für das Projekt verantwortliche Schweizer Historiker Raphael Gross, Direktor des Deutschen Historischen Museums, hat den Prüfbericht veröffentlicht und die Ergebnisse am 28. Juni 2024 im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt. „Die Überprüfung sollte insbesondere klären, ob es substantiierte Hinweise gibt, dass sich unter diesen Werken NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter befinden“, heißt es in der dazugehörigen Pressemitteilung. Gross hatte die Provenienzforscherin Dr. Irena Strelow mit der Tiefenrecherche beauftragt.

Der Bericht ist auf der Website der Stadt Zürich online verfügbar und bietet eine detaillierte Analyse der bisherigen Forschungen.

Was haben die Provenienzforschung am Landeshauptarchiv und die Sammlung Bührle miteinander zu tun?

Das OFP-Projekt des Landeshauptarchivs und die Überprüfung der Provenienzforschung zur Sammlung Bührle erscheinen zunächst als Vorhaben ohne Bezug zueinander. Doch sie sind nicht nur durch gemeinsame Ziele miteinander verknüpft. Das OFP-Projekt, finanziert von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, konzentriert sich auf die Erforschung und Dokumentation des staatlichen Kunstraubes an Jüdinnen und Juden während der Zeit des Nationalsozialismus. Im Rahmen dieses Projekts wurden über 40.000 Akten der „Vermögensverwertungsstelle“ für Berlin und Brandenburg digitalisiert und veröffentlicht.

Diese Dokumente enthalten Informationen zu Zehntausenden Menschen, die als „jüdisch“ oder „reichsfeindlich“ verfolgt und ausgeplündert wurden. Sie dokumentieren, wie die NS-Finanzverwaltung das Vermögen der Verfolgten vor deren Deportation oder nach ihrer Flucht erfasste und zugunsten der NS-Gesellschaft „verwertete“.

Die Digitalisierung dieser Akten ermöglicht einen umfassenden digitalen Zugang, der für die Auswertung und weiterführende Forschungsprojekte unerlässlich ist – Forschungsprojekte wie die Überprüfung der Bührle-Sammlung.

Irena Strelow, von 2020 bis 2023 Leiterin der Provenienzforschung im OFP-Projekt am Landeshauptarchiv, konsultierte für die Tiefenrecherche zu den Kunstobjekten in der Bührle-Sammlung erneut die Unterlagen der „Vermögensverwertungsstelle“, darunter die Akten von Käthe Berliner (Rep. 36 A (II) OFP Berlin-Brandenburg Nr. 3269), Gustav Schweitzer (Rep. 36 A (II) OFP Berlin-Brandenburg Nr. 35057 und Nr. 35058) und weitere[1]. Den Akten kommt eine zentrale Bedeutung zu, da sie anhand dieser den Verfolgungskontext nachvollziehen und den Vermögensverlust belegen konnte.

Systematische Auswertung der digitalisierten Akten

Die digitale Zugänglichkeit zu den Quellen vereinfachte dabei die Erforschung und Aufarbeitung. Die Akten sind über die Archivrecherche online frei verfügbar und können jederzeit ortsunabhängig eingesehen werden. Auch wenn die Überprüfung der Bührle-Sammlung vorläufig abgeschlossen ist, unterstreicht diese zum einen die Bedeutung systematischer Provenienzforschung zur Offenlegung der Mechanismen im NS-Kunstraub, aber zum anderen auch die Relevanz digital zugänglicher Quellen in Archiven als Vorbedingung für die Forschung.

Die Provenienzforschung im Landeshauptarchiv setzt die systematische Auswertung der insgesamt rund 42.000 Akten nach heutigen Standorten NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunstgegenstände noch bis Ende 2026 fort.

Beide Projekte, die Provenienzforschung zur Sammlung Bührle und das OFP-Projekt, tragen dazu bei, die Erkenntnisse über den Kunstraub im Nationalsozialismus zu vertiefen und die Schicksale der Verfolgten zu würdigen. Verbunden sind die Projekte durch ihren Beitrag für die Aufarbeitung und Anerkennung historischer Ungerechtigkeiten.

Weitere Akten aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, die für die Auswertung konsultiert wurden

BLHA, Rep 36 A (II) OFP Berlin-Brandenburg Nr. 3269, Käthe Berliner

BLHA, Rep 36 A (II) OFP Berlin-Brandenburg Nr. 35057, Gustav Schweitzer

BLHA, Rep 36 A (II) OFP Berlin-Brandenburg Nr. 35058, Gustav Schweitzer

BLHA, Rep 4 A KG Pers Königliches Landgericht Nr. 11817, Gustav Schweitzer (kein Digitalisat verfügbar)

BLHA, Rep 36 A (II) OFP Berlin-Brandenburg Nr. 8821, Hugo Feibelsohn

BLHA, Rep 36 A (II) OFP Berlin-Brandenburg Nr. 28530, Berthold Nothmann

BLHA: Rep 36 A (II) OFP Berlin-Brandenburg Nr. 35471, Richard Semmel (noch kein Digitalisat verfügbar)

BLHA, Rep 36 A (II) OFP Berlin-Brandenburg Nr. 2046, Rosa Beer


Zu den Begriffen Raubkunst und Fluchtgut: Interview mit Stefan Koldehoff im SWR 2

[1] Konsultierte Akten s. Bericht S. 158-159; Link: https://irena-strelow.de/wp-content/uploads/2024/06/Ergebnis_bericht-ueberpruefung-provenienzforschung-buehrle.pdf

Text: Julia Moldenhawer, Leiterin der Abteilung Digitale Infrastrukturen und des OFP-Projekts im Brandenburgischen Landeshauptarchiv