Vater Fontane vor dem Ruin.

Kreisförmige Karte mit dem Dorf Letschin in der Mitte und Umgebung im Umkreis von einer preußischen Meile
Das Dorf Letschin im Oderbruch und sein Umland im Umkreis von einer preußischen Meile (etwa 7,5 km), 1839 (BLHA, Rep. 6B Landratsamt Lebus Nr. 571)

Auf den Spuren von Louis Fontane im Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Ein Artikel von Falko Neininger, erschienen in der Festgabe des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 2019.

Theodor Fontane hat seinem Vater Louis Henri Fontane (1796–1867) in seinem autobiographischen Roman „Meine Kinderjahre“ von 1892/93 ein eindrucksvolles literarisches Denkmal gesetzt. Der stattliche Mann, der sich dank seiner Bonhomie, seiner vielfältigen Begabungen, seiner Weltoffenheit und Lebenslust sowie seines unerschöpflichen Vorrats an unterhaltsamen Geschichten und Anekdoten allgemeiner Beliebtheit erfreute, ist die eigentliche Hauptfigur des Buches. Auch seine Schwächen, die nicht verschwiegen werden, seine ungeschäftliche Natur, seine Spielleidenschaft, seine Phantastereien, seine Leichtlebigkeit und seine Flucht vor der Verantwortung, erscheinen hier als liebenswert. Um die Distanz, die ihm diesen verklärenden Blick ermöglichte, hat Theodor wohl lange ringen müssen. Sein Verhältnis zu seinem Vater war geraume Zeit sehr ambivalent. Einerseits waren sich Vater und Sohn sehr nah und in manchem sehr ähnlich, andererseits sah sich Theodor vom Vater um eine solide materielle Basis und um eine gründliche schulische und akademische Bildung betrogen und grenzte sich gelegentlich scharf von ihm ab. Es lohnt sich aber bei seinen Selbstäußerungen immer, genau hinzuschauen und nach Quellen zu suchen, die seine Angaben ergänzen, bestätigen oder auch korrigieren können. Dabei geht es nicht um Faktenhuberei. Theodor hat in seinem Elternhaus prägende Eindrücke empfangen, die seine literarische Arbeit beeinflussten, und er nutzte Kenntnisse und Erfahrungen aus seiner Kindheit und Jugendzeit als reiches Reservoir für die Beschreibung von Charakteren, Personenkonstellationen, historischen Begebenheiten, Stimmungen, Orten und Landschaften. Figuren, die Züge des Vaters tragen, finden sich wiederholt in den Romanen, z. B. der Apotheker Gieshübler bei „Effi Briest“ in dem fiktiven Ort Kessin, der an Swinemünde erinnert, wo Vater Fontane seine zweite Apotheke betrieb, oder der Kaufmann und Gastwirt Hradscheck in „Unterm Birnbaum“, der in dem fiktiven Dorf Tschechin angesiedelten Kriminalerzählung, in der viele Bezüge zu Letschin im Oderbruch erkennbar sind, wo Vater Fontane seine vierte und letzte Apotheke besaß.  

Einige wichtige Quellen für die Geschichte der Familie Fontane hat das Brandenburgische Landeshauptarchiv zu bieten. Manches, aber längst nicht alles davon ist bekannt und von der Forschung ausgewertet. Wichtige Informationen bieten vor allem Grundakten im Zentralen Grundbucharchiv des BLHA. Aus deren Angaben lassen sich die Vermögensverhältnisse der Eltern Fontane wenigstens teilweise rekonstruieren. Das ist deshalb interessant, weil Geld bei ihnen eine wichtige Rolle spielte, und mehr noch die immer drückenden Schulden und Finanzkrisen bis hin zum wirtschaftlichen Ruin von Vater Fontane 1849/50. Die Akten bieten aber noch mehr als Zahlen, weil private Kredite damals noch nicht bei Banken aufgenommen werden konnten, sondern mit Verwandten, Bekannten, Nachbarn und Kollegen oder anderen privaten Kreditgebern ausgehandelt werden mussten und damit auch manches über dieses Umfeld verraten. Von einem missmutigen Kommentar zu solchen Unterlagen in einem Brief Theodors an seine Mutter von 1861 lassen wir uns nicht abschrecken. Darin beschrieb er einen Besuch bei seinem Vater, der damals bereits seit Jahren von seiner Frau getrennt in Schiffmühle bei Bad Freienwalde lebte: Am andern Tage gingen wir zu den ‚Geschäften‚ über, d.h. zur Durchsicht einer Menge alter Zettel, auf denen er in seinen vielen Mußestunden die fabelhaftesten Berechnungen angestellt hatte; außerdem las er mir alte Aktenstücke, Kaufkontrakte, Cessionen etc. vor, behauptete jeden Augenblick, es sei das dummste und langweiligste Zeug das man sich denken könne (worin ich laut einstimmte) las aber doch immer weiter, so daß mir ganz jämmerlich zu Muthe wurde. Bei Theodor berührte das Graben in der Erinnerung an missglückte Geschäfte und verspieltes Vermögen wunde Punkte. Heute können solche Papiere helfen, die Lebensumstände der Fontanes besser kennen zu lernen und damit auch Theodor und sein literarisches Werk in einzelnen Punkten besser zu verstehen.

Von Neuruppin nach Letschin

Der gelernte Apotheker Louis Fontane konnte sich 1819 mit erst 23 Jahren durch den Erwerb der Löwenapotheke in Neuruppin beruflich selbständig machen. Das nötige Geld dafür stellte ihm sein Vater Pierre Barthélemy (1757–1826) als Kredit zur Verfügung. Recht bald geriet er aber in eine wirtschaftliche Schieflage und fand in den folgenden Jahrzehnten nur noch sporadisch aus der finanziellen Bredouille heraus. Schuld daran war vor allem er selbst. Er hatte wenig kaufmännisches Geschick und keine große Ausdauer. Er lebte gerne über seine Verhältnisse, verließ sich zu sehr auf sein Glück und verlor viel Geld im Kartenspiel. Er nahm seinen Beruf zwar ernst, war aber den harten Realitäten des Alltags nicht gewachsen und fuhr lieber mit seiner Kutsche spazieren als in der Apotheke zu stehen. Die ewigen finanziellen Schwierigkeiten waren ein entscheidender Grund für die wachsenden Spannungen zwischen den Eheleuten Fontane, die schließlich 1850 zur Trennung führten. Mutter Emilie Fontane (1798–1869) kam aus einer gutsituierten Berliner Kaufmannsfamilie, hatte aber früh ihre Eltern verloren. Wirtschaftlich gesicherte, respektable Verhältnisse waren ihr sehr wichtig. Schnell merkte sie aber, dass der vielversprechende, begabte, unterhaltsame, lebenslustige, attraktive Mann aus gutem Hause, den sie jung geheiratet hatte, ihr nicht bieten konnte, was sie von ihm erwartete: diese sichere, angesehene bürgerliche Existenz. Da er ihren energischen Versuchen, Ordnung zu schaffen, ständig auswich, steigerte sich ihre Frustration zu Verbitterung. Das häusliche Leben war von einem häufigen Kleinkrieg geprägt, den Theodor in seinem zum 30. Hochzeitstag 1849 geschriebenen Schwank „Der Westfälische Frieden“, jedenfalls in dem davon erhaltenen Fragment, auf verletzende Weise vorführte.

Damals hatte Louis bereits drei berufliche Stationen durchlaufen und stand kurz vor dem Ende seiner Tätigkeit als Apotheker und der Trennung von seiner Frau. Von 1819 bis 1826 besaß er die Löwenapotheke in Neuruppin, von 1827 bis 1837 die Apotheke in Swinemünde, der Hafenstadt auf Usedom, die gerade begann, sich zum Seebad zu entwickeln, von 1837 bis 1838 die Altstädter Apotheke in Mühlberg an der Elbe. Seit 1838 war er Apothekenbesitzer in Letschin im Oderbruch. Für Neuruppin, Mühlberg und Letschin bieten Akten des BLHA bei genauem Hinsehen eine Fülle von Informationen zu den Lebensverhältnissen der Fontanes und manche wertvolle Anhaltspunkte für weitere Recherchen in anderen Quellen. Hier müssen wir uns aber auf einen Blick in die Grundakten der Letschiner Apotheke beschränken.

Der Kauf und die Einrichtung der Apotheke in Letschin

Der Kaufvertrag für die Apotheke in Letschin datiert vom 26. August 1838. An diesem Tag wurde sie auch vom Vorbesitzer Carl Oltmann übergeben. Der Kaufpreis betrug 16.000 Taler. Davon hatte Louis bereits 500 Taler angezahlt. Am Tag des Vertragsabschlusses zahlte er 2.500 Taler. Weitere 5.000 Taler sagte er für den 5. Januar 1839 zu. Die zweite Hälfte des Kaufpreises von 8.000 Talern wurde als Restkaufgeld-Hypothek für Oltmann im Grundbuch eingetragen. Die Erwerbung umfasste ein Grundstück von knapp 900 qm im Ort mit Wohnhaus und Stall sowie die komplette Apothekeneinrichtung und den Warenbestand. Wie vereinbart, hat Louis 5.000 Taler Kaufgeld im Januar 1839 gezahlt. Die Hälfte davon stammte von seiner Stiefmutter Charlotte Friederike (1778–1843), der dritten Frau seines Vaters Pierre Barthélemy, für die eine Hypothek von 2.500 Talern im Grundbuch eingetragen wurde.

Die Apotheke in Letschin versprach gute Erträge. Letschin war das mit Abstand größte Dorf der Gegend. 1840 hatte es 332 Wohngebäude und 2.630 Einwohner. Von den nächstgelegenen Städten Wriezen, Küstrin, Seelow, Müncheberg und Buckow waren nur Küstrin und Wriezen größer. Durch seine Straßenverbindungen, eine Poststation auf dem Weg von Wriezen nach Küstrin oder Frankfurt (Oder) und zahlreiche Handel- und Gewerbetreibende hatte Letschin eine gewisse zentralörtliche Bedeutung. Eine Liste der Schulbeitragspflichtigen von 1843 benennt 51 Beitragspflichtige in den Steuerklassen 1 bis 3 der Wohlhabendenden und Gutsituierten, vornehmlich reiche Bauern und große Gewerbetreibende. Aber auch Apotheker Fontane war in Steuerklasse 3 der Gutsituierten eingestuft.

Die Apotheke in Letschin war 1838 noch ganz neu. Genaue Auskunft über die Einrichtung gibt das Protokoll ihrer amtlichen Revision, die 1835 kurz nach der Eröffnung durchgeführt wurde. Oltmann hatte die Konzession zur Anlegung der Apotheke 1832 erhalten. 1833 hatte er ein Grundstück an der Hauptstraße des Dorfes erworben, auf dem er 1834 ein einstöckiges Fachwerkhaus errichten ließ. 1835 konnte er hier seine Apotheke eröffnen. Der Verkaufsraum war durch eine mit Fenstern versehene Flügeltür von der Straße her zugänglich. Er war ca. 32 qm groß und hatte zwei große Fenster. Die Gutachter lobten: Die Apotheke hat ein äußerst gefälliges, freundliches Äußeres, in welchem Einfachheit mit Eleganz verbunden sind, indem bei ihrer Gestaltung alle zeitgemäßen Rücksichten beobachtet worden sind. Auf dem Verkaufstisch stand eine Säule mit einer Waage. Die Wände waren rundherum unten mit Reihen von Schubkästen und darüber mit Regalen ausgestattet. Die Regale waren durch 14 Säulen in Felder geteilt. Hinter jeder Säule ließen sich kleine Wandschränke für gefährliche Substanzen öffnen. Die ganze Einrichtung war lichtbraun mahagoniartig gebeizt und lackiert. Auf den Regalen standen Arzneigefäße aus Porzellan, Glas oder Holz in systematischer Anordnung. Ueberall beobachtete man die größte Akkuratesse, musterhafte Ordnung und lobenswerthe Reinlichkeit.

Detailliert beschrieben werden auch die geräumige Materialkammer zur Aufbewahrung von Vorräten, das massiv gebaute, feuersichere Laboratorium, der gewölbte Keller für kühl zu haltende Vorräte und der Speicher mit zwei Dachkammern zur Aufbewahrung von Kräutern und einem großen Trocknungsgestell für Kräuter.

Eine häufig abgebildete Zeichnung des Hauses zeigt es als einstöckiges Fachwerkhaus auf hohem Sockelgeschoss mit großem Walmdach, der Eingangstür in der Mitte und je vier Fenstern zu beiden Seiten. Ob die Fontane’sche Apotheke aber genau so aussah, ist zweifelhaft. Eine Lageskizze von 1834 in Akten der Regierung Frankfurt (Oder) lässt ein etwas anderes Aussehen vermuten. Sie zeigt den Grundriss eines großen rechteckigen Gebäudes längs der Straße, das rechts und links zwei kurze bis zur Grundstücksgrenze vorspringende Flügel hatte. Auch die Angabe des Revisionsprotokolls, dass der Verkaufsraum der Apotheke einen eigenen Eingang von der Straße her hatte, weckt Zweifel an der Zeichnung, die nur einen Hauseingang zeigt.

Kleine Karte eines Straßenabschnitts mit der Apotheke und des Gebäudes des Braukrugs in Letschin
Die Oltmann‘schen Apotheke in Letschin und die Gebäude des benachbarten Braukrugs, 1834 (BLHA, Rep. 3B Regierung Frankfurt (Oder) I Pol Nr. 2779)

Theodor in Letschin

Der Haushalt der Fontanes in Letschin bestand wohl im Kern aus den fünf Familienangehörigen Louis und Emilie Fontane mit ihren drei jüngeren Kindern Jenny (1824–1904), Max (1826–1860) und Elise (1838–1923), außerdem, wie schon bei Oltmann, wahrscheinlich aus einem Gehilfen und einem Lehrling in der Apotheke und ein oder zwei Hausangestellten.

Theodor hatte schon 1832 das Elternhaus verlassen, um zunächst in Neuruppin und dann in Berlin die Schule zu besuchen. 1836 begann er seine Apothekerlehre in Berlin. Sein Bruder Rudolf (1821–1845) war beim Umzug der Familie nach Letschin wohl auch schon außer Haus in einer landwirtschaftlichen Lehre oder Ausbildung. Er starb bereits am 1. Januar 1845 in Badingen in der Uckermark als Wirtschafts-Inspektor in der Gutswirtschaft des dortigen Domänenpächters.

Theodor hielt sich in den Jahren 1838 bis 1850 häufig für kürzere oder längere Zeit in Letschin auf. Anfang 1841 war er mehrere Wochen dort, um sich von einer schweren Typhuserkrankung zu erholen. 1843/1844 absolvierte er einen Teil seiner praktischen Apotheker-Ausbildung bei seinem Vater. 1846 und 1847 war er noch einmal länger in Letschin, um sich auf sein Apotheker-Examen vorzubereiten, das er am 2. März 1847 bestand, und um seinen Vater zu unterstützen, aber wohl auch aus Mangel an Alternativen. Heimisch ist er in Letschin nie geworden. Seinem Freund Wilhelm Wolfsohn teilte er in einem Brief vom 10. November 1847 nur halb scherzhaft mit: Letschin im Oderbruch, Kirchdorf mit 3500 Seelen (?) und Residenz zweier dort stationirter Gensdarmen, hängt durch Vermittlung eines sogenannten Rippenbrechers von Postwagen nur lose mit der civilisierten Welt zusammen. Es ist ein zweites Klein-Sibirien; die Lebenszeichen einer Welt da draußen sind selten, aber – sie kommen doch vor. Der Verweis auf Sibirien als Ort der Verbannung hat hier, weil Wolfsohn aus Russland stammte, besonderes Gewicht. Noch in seiner 1884/1885 entstandenen Kriminalerzählung „Unterm Birnbaum“, die Theodor in dem fiktiven Ort Tschechin spielen lässt, der deutlich an Letschin erinnert, schildert er die dörfliche Gesellschaft als eng und hart.

Seit seinem Examen im März 1847 bemühte sich Theodor einige Jahre sehr ernsthaft darum, sich als selbständiger Apotheker zu etablieren. Obwohl es ihm in Letschin nie recht behagte, war er auch bereit, im nahen Dorf Gusow am Rande des Oderbruchs klein anzufangen. Mit einem Brief vom 30. Mai 1847 an die Herrschaft in Gusow, mit dem er um Unterstützung für ein Gesuch bei den Behörden um Erteilung einer Apotheken-Konzession für Gusow bat, hatte er allerdings keinen Erfolg.

Verzweifelte Briefe an Bernhard von Lepel

Im Sommer 1849 hören wir von neuerlichen Versuchen Theodors, sich als Apotheker selbständig zu machen. Sein Freund Bernhard von Lepel unterstützte ihn bei Verhandlungen zum Kauf einer Apotheke und bot an, bei einer reichen Tante um einen Kredit zu bitten. Als er nachfragte, ob Theodors Vaters nicht einen Kredit absichern könnte, erhielt er eine drastische Schilderung der finanzielle Situation der Familie Fontane: Ich habe die Ehre und das Vergnügen einer durch und durch pauvren Familie anzugehören, die dadurch doppelt pauvre ist, daß sie, in fast allen ihrer Glieder, mal was besessen und die Tausende zum Schornstein hinausgewirthschaftet hat. Dadurch ist nicht blos das Geld, sondern auch der Credit zum Teufel gegangen. Mein Vater, in vielen Stücken ein ganz famoser Kerl, in einzelnen sogar ein seltener, hat ein bis auf den letzten Dachziegel verschuldetes Grundstück, und wartet eigentlich schon 25 Jahre darauf, daß er von Gerichts wegen mit Weib und Kind aus dem Hause geschmissen wird. Ich sage Dir: und wenn ich eine Sechserschrippe auf Pump kaufen, und einen Schein auf die Apotheke meines Vaters ausstellen wollte, so würde sich der Bäcker bestens bedanken. Es wird zwar bei uns zu Hause immer noch Champagner getrunken, weil jeder Tag Geld bringt und die Pfennig-Noth noch nicht da war, aber was die Stunde giebt, das nimmt sie auch, und wenn ich mich verheirathete, würde man mir höchstens eine Schiebelampe, oder ein Theesieb zum Hochzeitsgeschenk machen können.

Am 5. Oktober klagte Fontane in einem weiteren Brief an Lepel vehement über das ihm nun drohende Schicksal, als angestellter Apotheker zu enden: Und es könnte alles anders sein! Sieh, das verbittert mich jetzt. Zu Zeiten bis ins tiefste Herz. Der Egoismus meines Vaters, der immer Geld hatte für Wein und Spiel, und nie für Erziehung und Zukunft seiner Kinder hat schlimme Frucht getragen. Man ließ mich Apotheker werden, weil man das Geld verprassen wollte, was zur Ausbildung der Kinder hätte verwendet werden müssen, und jetzt, wo sich die Reue darüber leise im Herzen regt, ist es zu spät: die Noth ist da, der Bankrutt bricht herein – jetzt kann Niemand mehr helfen. – Ich habe von Haus sehr trübe Nachrichten, die wenig geeignet sind, mich frei und froh in die Zukunft blicken zu lassen.

Der Weg in den Ruin

Was sagen die Akten zur finanziellen Situation von Vater Fontane in Letschin? Am 19. April 1843 starb seine Stiefmutter Friederike in Berlin. Haupterben waren ihre drei Stiefsöhne Karl, Louis und August. Für Louis brachte das Erbe wahrscheinlich mehr als 3.000 Taler ein. Eine Vermögensaufstellung Friederikes oder ein Erbteilungsvertrag mit genauen Angaben liegen leider nicht vor.

Auf der Apotheke in Mühlberg lastete noch ein Kredit Friederikes von 2.500 Talern, den nun die Brüder Fontane erbten und 1844 an einen anderen Gläubiger abtraten. Weitere 2.500 Taler Friederikes waren in der Letschiner Apotheke angelegt. Dieser Kredit wurde von den Erben im November 1843 an eine neue Gläubigerin abgetreten.

Von beiden Krediten hat Louis sicher seinen Anteil erhalten. Trotzdem machte er weiter neue Schulden. Im Januar 1844 lieh er 1.000 Taler in Berlin. Im März 1846 lieh er weitere 1.000 Taler für ein Jahr in Wriezen.

Im März 1847 übernahm ein Gutsbesitzer in Letschin diesen Kredit, den Fontane selbst wohl nicht pünktlich zurückzahlen konnte. Erst im Oktober 1847 löste er ihn ab, nahm aber gleichzeitig neue 3.500 Talern bei Landes-Ökonomierat Johann Gottlieb Koppe im nahen Wollup auf. Mit diesem angesehenen und erfolgreichen Landwirt und Domänenpächter war Louis, dessen Neigungen samt und sonders nach der landwirtschaftlichen Seite hin lagen („Meine Kinderjahre“, Viertes Kapitel), wohl auch durch diese Interessen verbunden. Zum Frühjahr 1848 kündigte Carl Oltmann seinen Kredit von 4.000 Talern Restkaufgeldern. (Die Forderung von 4.000 Talern hatte er bereits 1840 an einen anderen Gläubiger abgetreten.) Auch diesen Kredit übernahm Koppe, allerdings zu 5 statt bisher 4,5 Prozent Zinsen.

Am 18. und 19. Juli 1848 erschien in der Vossischen Zeitung in Berlin eine Anzeige von Louis Fontane, mit der er seine Apotheke, die sich durch ihre glückliche Lage auszeichne, qualifizierten Kauflustigen, die mindesten 12.000 Taler anzahlen können, zum Kauf anbot. Im unruhigen Sommer 1848 kann ihn dazu nur eine Notlage veranlasst haben. Welche genauen Preisvorstellungen er hatte, lässt sich aber aus den Anzeigen nicht herauslesen. Louis selbst hatte die Apotheke für den Kaufpreis von 16.000 Talern erworben. Da sie jetzt mit 15.000 Talern Schulden belastet war, musste er einen Käufer finden, der diese Schulden übernahm und erhebliche eigene Mittel aufbrachte, wenn durch den Verkauf das finanzielle Überleben der Familie gesichert werden sollte. Zum Verkauf kam es vorerst nicht, aber die finanziellen Schwierigkeiten nahmen weiter zu. Mitte Mai 1849 wurde Louis von Schulden eingeholt, die er wohl noch in Mühlberg gemacht hatte: Ein gerichtliches Zahlungsmandat traf ein, dem Hüfner Gottfried Keil aus Paußnitz bei Mühlberg 1.500 Taler samt Zinsen seit Herbst 1846 binnen drei Monaten zu zahlen.

Tatsächlich war die Lage jetzt so heikel, dass Louis sich im Mai 1849 genötigt sah oder von seiner Frau Emilie genötigt wurde, das von ihr in die Ehe eingebrachte Vermögen von 6.000 Talern als Hypothek im Grundbuch eintragen zu lassen. Geradezu abenteuerlich mutet der nächste Schritt an: Am 13. September 1849 einigten sich die Eheleute Fontane durch gerichtlichen Vertrag, dass ihre gesamte bewegliche Habe an Emilie überschrieben wurde, um einen Teil ihres Vermögens so zu sichern.

Von besonderem Interesse an diesem Vertrag ist das ausführliche und detaillierte Inventar, in dem von den Möbeln der guten Stube über Bilder, Bücher, Geschirr, Wäsche, Hausgerätschaften, Pferd und Wagen bis zur Kleidung von Louis einschließlich Taschentüchern und Unterwäsche alles aufgelistet und taxiert ist. Der Gesamtwert all dessen wurde mit 1.577 Talern 15 Silbergroschen veranschlagt. Diese Summe wurde dann von den 6.000 Talern, die für Emilie eingetragen waren, abgezogen, womit 4.422 Taler 15 Silbergroschen von Emilies Hypothek übrigblieben.

Mit Hüfner Keil konnte sich Louis im Herbst 1849 auf eine Schuldsumme von 1.200 Talern einigen, von denen er 300 Taler zahlte. Die restlichen 900 Taler wurden als Hypothek zu 5 Prozent Zinsen ab 1. Oktober im Grundbuch eingetragen und sollten zum 1. Oktober 1850 zurückgezahlt werden.

Rettung durch den Schwager Sommerfeldt

Das Schicksal nahm jetzt generell eine günstigere Wendung. Am 26. April 1850 teilte Theodor seinem Freund Lepel mit: Meine Schwester hat sich mit einem Giftmischer verlobt, der am 1ten Oktober die Bude meines Vaters übernimmt. Es ist das sehr viel werth, und die Möglichkeit da, daß die ganze Familie sich noch mal wieder erholt. Am 5. September war in Letschin die Hochzeit von Jenny Fontane mit dem Apotheker Hermann Sommerfeldt (1820–1902), einen ehemaligen Gehilfen des Vaters Fontane.

Per Vertrag vom 10. Oktober 1850 konnte Louis seine Apotheke in Letschin an seinen neuen Schwiegersohn verkaufen und damit seine Schulden abwerfen. Als Kaufpreis wurden 33.000 Taler verabredet, wovon 7.000 Taler für die Immobilie, 13.000 Taler für die Apotheken-Konzession und 13.000 Taler für die Gerätschaften und Vorräte veranschlagt waren. Sommerfeldt übernahm an Hypothekenschulden die 8.000 Taler Restkaufgeld von 1838, die 2.500 Taler von 1839, die 1.000 Taler von 1844, die 3.500 Taler von 1847 und die 900 Taler von 1849, zusammen also 15.900 Taler, und zahlte 3.000 Taler bar. Die übrigen 14.100 Taler wurden ihm als Kredit zu 5 Prozent Zinsen ab dem 1. Oktober eingeräumt. Die Hypothekenschulden von 4.422 Talern 15 Silbergroschen – Emilies Anteil – verpflichtete sich der Verkäufer innerhalb von acht Wochen abzulösen. Die Übergabe der Apotheke war bereits erfolgt. Die Keil zugesicherte Rückzahlung seiner 900 Taler konnte geleistet werden, indem ein neuer Gläubiger gefunden wurde.

Die Jahre der Trennung

Im Herbst 1850 trennten sich Louis und Emilie Fontane ohne Scheidung. Emilie und Tochter Elise zogen nach Berlin in eine Mietwohnung in der Köpenicker Straße, die Theodor für sie gefunden hatte. Von dort siedelten sie 1854 nach Neuruppin über. Louis logierte zunächst in Eberswalde. Später kaufte er sich ein kleines Haus mit separatem Stall und einem Morgen Land in Schiffmühle bei Bad Freienwalde, wo er auch seiner Neigung zur Landwirtschaft wieder nachgeben und ein Schwein halten konnte. Die Mittel dafür stammten vermutlich aus der folgenden Transaktion: Ende 1853 trat er einen Teil seiner Hypothek auf der Letschiner Apotheke in Höhe von 1.100 Talern an den Apotheker Johann Friedrich Zeisig in Friedeberg ab und ließ sich diese Summe von ihm auszahlen.

Trotz seiner Abgeschiedenheit in Eberswalde und mehr noch in Schiffmühle blieb Louis durch gelegentliche Besuche und regen Briefwechsel mit der Familie verbunden. 1852 konnte er in seinem Sohn Theodor dann doch noch Dankbarkeit für eine finanzielle Unterstützung wecken. Mit einem Darlehn von 200 Talern leistete er eine wichtige Beihilfe zu den Kosten für Theodors Reise nach England im Sommer 1852. Daran erinnerte Theodor noch in „Meine Kinderjahre“ (Viertes Kapitel): Und so fügte sich’s denn, daß er, der in guten Tagen, in diesem und jenem, wohl manches versäumt hatte, schließlich doch der Begründer des bescheidenen Glückes wurde, das dieses Leben für mich hatte.

1857 löste Louis Letschiner Hypothekenforderungen von 3.000 Talern ein, 1858 von weiteren 600 Talern. Es blieben ihm damit noch 9.400 Taler Restkaufgeld. Anfang 1859 einigten sich die Eheleute Fontane und Sommerfeldt auf eine Umschichtung. Von den 9.400 Talern wurden 4.422 Talern 15 Silbergroschen, also der Betrag der bestehenbleibenden Hypothek von Emilie, und weitere 3.977 Taler 15 Silbergroschen zur Löschung gebracht. Den Rest von 1.000 Talern übertrug Louis seiner jüngsten Tochter Elise für ihre künftige Ausstattung. Die 3.977 Taler 15 Silbergroschen umfassten 2.400 Taler Kaufgeld für eine Leibrente, die Sommerfeldt seinen Schwiegereltern zugesichert hatte, und von ihm an sie bereits geleistete Barzahlungen in Höhe von 1.577 Talern 15 Silbergroschen.

Im Sommer 1862 verkaufte Sommerfeldt die Apotheke in Letschin weiter. Der Kaufpreis betrug jetzt 44.000 Taler. Sommerfeldt erhielt davon 2.000 Taler bar. Der Käufer übernahm Hypothekenschulden in Höhe von 25.600 Talern, darunter 4.000 Taler von Emilies Forderung und die 1.000 Taler von Elise. Emilie erhielt die ihr zusätzlich zustehenden 422 Taler 15 Silbergroschen von ihrem Schwiegersohn ausgezahlt.

In ihrem Testament vom 5. Mai 1868 bestimmte sie ihre drei noch lebenden Kinder Theodor, Jenny und Elise sowie Enkelin Marianne Fontane, die Tochter des 1860 verstorbenen Sohns Max, zu ihren Erben. Die noch bei der Mutter wohnende unverheiratete Elise sollte den gesamten Mobiliar-Nachlass einschließlich der baren Gelder erhalten. Von dem Kapital-Vermögen, das noch aus den 4.000 Talern Hypothek auf der Letschiner Apotheke bestand, sollte Elise 1.000 Taler erhalten. Die übrigen 3.000 Taler, oder was davon bei Emilies Tod noch übrig war, sollten unter den drei anderen Erben gleichmäßig verteilt werden.

Das Haushaltsinventar von 1849

An dem Inventar vom 13. September 1849 ist zunächst die schiere Menge der aufgelisteten Möbel und sonstigen Einrichtungsgegenstände, Gerätschaften und Wäschestücke bemerkenswert. Man fragt sich, wie das alles in dem Letschiner Apothekenhaus Platz hatte. Es zeigt ganz deutlich, dass man auch in schwierigen Zeiten und auf dem Dorf an einem städtisch-bürgerlichen Lebenszuschnitt festzuhalten versuchte.

An der Spitze der Liste stehen zwei Garnituren guter Möbel aus Mahagoni und aus Birkenholz. Zur Möblierung der guten Stube gehörten folgende vornehme Mahagoni-Möbel: ein Zylinderbureau, ein großer runder Tisch, ein Trumeau (Pfeilerspiegel), ein Sofa mit braunem Bezug, eine Kommode mit drei Schubladen, zwei Lehnstühle mit Maroquinleder-Überzug, zwölf Stühle, zwei Nähtische, zwei Spieltische und ein Schlaf-Sofa mit einem Bezug aus grün-gelb-gestreiftem Wollstoff; außerdem ein Piano mit Lederdecke und Notenschränkchen aus Mahagoniholz und eine Tischuhr mit Ebenholzgehäuse und Bronzezifferblatt unter einem Glassturz. Der Wert dieser Möbel war mit 167 Talern 25 Silbergroschen angesetzt. Am höchsten waren das Piano mit 45 und der Schreibtisch mit 21 Talern bewertet. Zur zweiten Garnitur guter Möbel gehörten ein Schreib-Pult von Birkenholz mit 24 alphabetisch bezeichneten Schubfächern, eine Kommode aus Birkenholz, ein großer Spiegel in Birkenholz-Rahmen, eine große Standuhr, ein Sofa mit grün-weiß-gestreiftem Bezug, ein Toiletten-Spiegel auf geschweiften Füßen, ein Spiegel in Birkenholz-Rahmen, ein Eckschrank von Elsenholz mit Bronze-Beschlägen und sechs neue Stühle aus Birkenholz. Diese Möbel waren nur mit 2 bis 7 Talern, die Standuhr mit 10 Talern, insgesamt 39 Talern veranschlagt.

Für sämtliche gerahmten Bilder wurden 46 Taler angesetzt, für Bücher, Karten, nicht gerahmten Stiche und Lithographien 34 Taler. Im Anhang zum Inventar werden 40 Bilder und Gemälde aufgeführt, darunter Ansichten vom Rhein und von Toulon, vom Dom zu Marienburg, von Pompeji und von Herculaneum, ein Historienbild von Sultan Bajazeth als Gefangenem des Mongolenherrschers Tamerlan, außerdem auch zwei Bildnisse von Napoleon in Goldrahmen, drei Lithographien mit Szenen aus Napoleons Leben in Goldrahmen und zwei Kupferstiche, die französische Krieger darstellten.

Zu den Büchern zählten 14 Bände des Konversations-Lexikon von Brockhaus und 25 Bände der Werke Walter Scotts sowie Fachbücher und Zeitschriften der Pharmazie, Chemie, Botanik und Geographie.

Bemerkenswert sind auch Pferd und Wagen: ein brauner, fünfjähriger Wallach im Wert von 120 Talern, ein verdeckter, auf Druckfedern ruhender, mit hellem Tuche ausgeschlagener, grün lackierter Wagen im Wert von 130 Talern und ein offener Wagen im Wert von 27 Talern.

Dass Louis ein großer Verehrer von Napoleon und seinen Generälen war, dass er eifrig im Konversations-Lexikon studierte und begeistert die Romane von Walter Scott las und dass er eine Leidenschaft für Pferde, Kutschen und Kutschfahrten hatte, auch als er sie sich nicht mehr leisten konnte, ist aus „Meine Kinderjahre“ und anderen Quellen bekannt. Im Inventar finden sich diese Berichte bestens bestätigt.

Erhalten ist von der Ausstattung der Eheleute Fontane nur sehr wenig. Von den Möbeln ist wohl nur die Standuhr nachweisbar. Theodor nannte sie in „Meine Kinderjahre“ (Fünftes Kapitel) als besonderes Ausstattungsstück neben dem Schlafsofa im Zimmer des Vaters in Swinemünde. Dabei hat er sich aber wohl dichterische Freiheiten erlaubt, denn die „Stuben-Uhr“, die Friederike Fontane 1843 an Louis vererbte, muss diese Standuhr gewesen sein. Sie kann also erst in Letschin in Vaters Zimmer gestanden haben. Später blieb sie in seinem Besitz und gelangte nach seinem Tod 1867 an Theodor, in dessen Arbeitszimmer sie einen Ehrenplatz erhielt. Heute steht sie im Museum in Neuruppin.

Ein besonders geschätztes Zylinderbureau stand später in der Berliner Wohnung Theodors, und man darf vermuten, dass 1850, als die Eltern sich trennten und aus Letschin fortzogen, der damals völlig unbemittelte Theodor nach seiner Hochzeit für die Einrichtung seiner ersten eigenen Wohnung in Berlin diesen Schreibtisch und einige andere Möbel der Eltern übernehmen durfte. Im Sommer 1857, als seine Frau Emilie die Übersiedlung nach London vorbereitete, trennten sich die Fontanes davon.

Zu anderen Möbeln gibt es weitere Hinweise in „Meine Kinderjahre“ (Fünftes Kapitel). Hier beschreibt Theodor die Einrichtung der Wohnzimmer in Swinemünde. Einiges davon stammte demnach aus dem Erbe des 1826 verstorbenen Großvaters. Im Salon der Mutter standen ein Maroquinlederstuhl und ein Trumeau, dessen Bekrönung, weil die Höhe des Zimmers nicht ausgereicht hatte, zu größerem Teile beseitigt worden war. Aber auch in dieser fast bekrönungsbaren Verfassung war er immer noch das Prachtstück der ganzen, von uns selbst wenigstens vielbewunderten Einrichtung. Insgesamt war sie nach Theodors Erinnerung geprägt von damals als sehr vornehm geltenden Mahagoni-Möbeln im Schinkelstil. Von den Möbeln im Zimmer des Vaters nennt Theodor außer dem Schlafsofa und der Standuhr einen schmalen Spiegel in einer Birkenmaserumrahmung und den Schreibtisch seines Vaters, einen Schreibsekretär aus Birkenholz. Er saß gern an diesem seinem Sekretär und hing mehr oder weniger an jedem Kasten und Schubfach desselben, ein besonders intimes Verhältnis aber unterhielt er zu einem hinter einem kleinen Säulen-Vortempel verborgenen Geheimfach, drin er, wenn ihm die Verhältnisse dies gerade gestatteten, sein Geld aufbewahrte. Das könnte das Schreib-Pult von Birkenholz mit 24 Kästen des Inventars sein.

Außerdem hebt Theodor den reichen Bilderschmuck des Zimmers seines Vaters als besondere Zierde hervor.

In seinem Testament vom 23. Februar 1861 bedachte Louis Fontane seine langjährige Haushälterin Luise Papke ausdrücklich mit einigen seiner Möbel. Dazu zählten a) mein Mahagoni-Sopha, oder falls meine Erben es vorziehen, statt desselben acht Thaler baar, b) sechs Mahagoni-Rohrstühle, c) eine birkene Kommode, d) einen großen Spiegel mit birkenem Rahmen und einen desgl. kleinen mit elsenem Rahmen. Von den Bildern sollte die Haushälterin zwei Pastell-Gemälde in schwarzem Rahmen, Mädchen mit Thieren darstellend, ein Portrait Napoleons in Goldrahmen und zwei schwarze Kupferstiche, welche ihr meine Erben aussuchen werden, erhalten. Das sind offenbar Bilder, die schon in Swinemünde und Letschin hingen. Für seine Napoleonbegeisterung scheint er ein offenes Ohr bei seiner Haushälterin gefunden zu haben. Bei seinen Kindern erwartete er anscheinend weniger Interesse.

Einzelne der Möbelstücke der Fontanes tauchen auch in Theodors Romanen auf, wo sie der Charakterisierung von Räumlichkeiten und Lebensumständen dienen.

Wiederholt wird ein Trumeau erwähnt, ein repräsentativer großer Pfeilerspiegel, der zunächst für adelige und großbürgerliche Wohnkultur stand, dann aber zunehmend als Relikt aus einer untergegangenen Welt betrachtet wurde. Ganz herrschaftlich noch das in Schloss Guse von Amelie Gräfin Pudagla 1790 eingerichtete Spiegelzimmer mit mehreren Trumeaux in „Vor dem Sturm“ (Zweiter Band, Siebentes Kapitel). Viel bescheidener ein schmaler Trumeau im Schlafzimmer des Landrats von Innstetten in „Effi Briest“ (Siebentes Kapitel). Ein weißlackierter Pfeilerspiegel mit eingelegter Goldleiste in der ärmlichen Wohnung der Witwe von Poggenpuhl, der – erst vor kurzem auf einer Auktion erstanden – etwas von einer erlöschenden, aber doch immerhin ‚mal dagewesenen Feudalität ausstrahlte („Die Poggenpuhls“, Erstes Kapitel). Die Wohnung der jungen Witwe Pittelkow hatte ihr Liebhaber, der alte Grafen Haldern, aus einer Laune heraus bewusst mit einem deplatziert wirkenden prächtiger Trumeau mit zwei vorspringenden goldenen Sphinxen ausgestattet („Stine“, Viertes Kapitel).

Die Wohnstube der Hradscheks in Tschechin erinnert deutlich an die der Fontanes in Letschin: Diese machte neben ihrem wohnlichen zugleich einen eigentümlichen Eindruck, und zwar, weil alles in ihr um vieles besser und eleganter war, als sich’s für einen Krämer und Dorfmaterialisten schickte. Die zwei kleinen Sophas waren mit einem hellblauen Atlasstoff bezogen, und an dem Spiegelpfeiler stand ein schmaler Trumeau, weiß lackiert und mit Goldleiste. Ja, das in einem Mahagoni-Rahmen über dem kleinen Klavier hängende Bild (allem Anscheine nach ein Stich nach Claude Lorrain) war ein Sonnenuntergang mit Tempeltrümmern und antiker Staffage, so daß man sich füglich fragen durfte, wie das alles hierherkomme? („Unterm Birnbaum“, Erstes Kapitel.) Als genauso fremd und befremdlich in ihrer dörflichen Umgebung empfand Theodor vermutlich auch die Wohnung seiner Eltern in Letschin, ihr Festhalten an gehobenem städtischem Lebensstil und den Hang seiner Mutter zu vornehmer Repräsentation.

Auch über die Möbel im Schinkelstil äußerte sich Theodor zuletzt widersprüchlich. In „Meine Kinderjahren“ (Fünftes Kapitel) schreibt er: Noch ganz vor kurzem, und zwar im Schlosse zu Quedlinburg, bin ich in einem mittelgroßen Zimmer, das Friedrich Wilhelm IV. bei seinen Besuchen daselbst mit Vorliebe zu bewohnen pflegte, solcher Schinkelschen Zimmereinrichtung wieder begegnet und schrak bei ihrem Anblicke fast zusammen, denn Trumeau, Sofa, Schränke, Stühle, alles sah genau so aus oder richtiger war nach Stil und Formen genau dasselbe wie das, was ich sechzig Jahre früher im Zimmer meiner Mutter gesehen und bewundert hatte.

In „Cécil“ (Achtes Kapitel) heißt es dagegen bei der Beschreibung einer Besichtigung der Zimmer Friedrich Wilhelms IV. im Schloss Quedlinburg: Und dann traten sie, vom Thronsaal her, in ein paar niedrige, mit kleinen Mahagonimöbeln ausgestattete Räume, deren Spießbürgerlichkeit nur noch von ihrer Langweile übertroffen wurde.

Anmerkungen:

Die wichtigste Grundlage für diesen Beitrag sind Grundakten im Zentralen Grundbucharchiv des BLHA für Letschin: BLHA, Rep. 105 GA K II AG Seelow Paket-Nr. 439 – Grundakte Letschin Band 4 Blatt 146, Aktenband 1-2.

Ergänzend wurden folgende Akten des BLHA herangezogen:

BLHA, Rep. 3B Regierung Frankfurt (Oder) I Med Nr. 695 (Protokoll der Revision der Apotheke in Letschin am 19. August 1835);

BLHA, Rep. 3B Regierung Frankfurt (Oder) I Pol Nr. 2779 (hier Bl. 8 die Lageskizze der Apotheke und des Anwesens der Witwe Zimmermann);

BLHA, Rep. 4A Kurmärkisches Kammergericht Testamente Nr. 5103, Nr. 5104, Nr. 5197 (Testament von Charlotte Friederike Fontane, geb. Werner, von 1816 und Kodizill von 1843);

BLHA, Rep. 5D Kreisgericht Neuruppin Nr. 159 (Testament von Emilie Fontane, geb. Labry, von 1868);

BLHA, Rep. 5D Kreisgericht Wriezen Nr. 76 (Testament von Louis Fontane vom 23. Februar 1861);

BLHA, Rep. 7 Amt Wollup Nr. 58 (Liste der Schulbeitragspflichtigen in Letschin von 1843);

BLHA, Rep. 37 Gut Gusow Nr. 191 (Bemühungen um Einrichtung einer Apotheke in Gusow; siehe dazu Peter Studier, Theodor Fontane als Apotheker in Gusow? Ein unbekanntes Gesuch Fontanes, in: Fontane-Blätter 90 (2010), S. 10 – 16, mit Abbildung, Edition und Kommentierung des Briefs von Theodor Fontane von 1847, ohne Quellennachweis und ohne Kenntnis der Akten zu früheren Versuchen, in Gusow eine Apotheke einzurichten).

Die Briefe Fontanes werden nach folgenden Ausgaben zitiert:

Theodor Fontane, Briefe. Erster Band, hg. von Otto Drude und Helmuth Nürnberger, München 1976, S. 35-39 Nr. 18: Brief an Wolfsohn vom 10. 11. 1847 (hier S. 35 zu Letschin; auch in Theodor Fontanes Briefwechsel mit Wilhelm Wolfsohn, hg. von Christa Schulze, Berlin – Weimar 1988, S. 72-77, Nr. 7, hier S. 72);

Theodor Fontane, Briefe. Zweiter Band, hg. von Otto Drude, Gerhard Krause und Helmuth Nürnberger, München 1979, S. 26-27 Nr. 18: Brief vom 7. 3. 1861 (hier S. 26 zum Aktenstudium des Vaters);

Emilie und Theodor Fontane, Dichterfrauen sind immer so. Der Ehebriefwechsel 1844-1857, hg. von Gotthard Erler unter Mitarbeit von Therese Erler (Theodor Fontane. Große Brandenburger Ausgabe), Berlin, 2. Auflage, 1998, S. 212-216 Nr. 67: Brief vom 21. 11. 1855 (hier S. 215 zum Zylinderbureau); S. 421-423 Nr. 156: Brief vom 28. 11. 1856 (hier S. 422 zum Zylinderbureau);

Emilie und Theodor Fontane, Geliebte Ungeduld. Der Ehebriefwechsel 1857-1871, hg. von Gotthard Erler unter Mitarbeit von Therese Erler (Theodor Fontane. Große Brandenburger Ausgabe), Berlin, 2. Aufl., 1998, S. 57-59 Nr. 220: Brief vom 20. 5. 1857 (hier S. 57-58 zum Zylinderbureau);

Theodor Fontane und Bernhard von Lepel, Der Briefwechsel. Kritische Ausgabe, Band 1, hg. von Gabriele Radecke, Berlin – New York 2006, S. 141-148 Nr. 82: Brief vom 16. bis 18. 7. 1849 (hier S. 147-148 zur finanziellen Situation der Familie); S. 162-164 Nr. 91: Brief vom 5. 10. 1849 (hier S. 164 zum finanzielle Ruin der Familie); S. 198-199 Nr. 115: Brief vom 26. 4. 1850 (Mitteilung über die Verlobung der Schwester);

Die Fontanes und die Merckels. Ein Familienbriefwechsel 1850-1870, hg. von Gotthard Erler, Band 1: 30. Juli 1850 – 15. März 1858, Berlin 1987, S. 133-138 Nr. 43: Brief vom 12. 8. 1857 (hier S. 137 zum Zylinderbureau und zum Notenschränkchen).

Theodor Fontane, Meine Kinderjahre. Autobiographischer Roman, ist zitiert nach: Theodor Fontane, Autobiographische Schriften. Band 1: Meine Kinderjahre, hg. von Gotthard Erler, Berlin – Weimar 1982.

Die Romane Theodor Fontanes sind zitiert nach der Großen Brandenburger Ausgabe im Aufbau-Verlag, Berlin.

Theodor Fontane, Der Westfälische Frieden. Zum 24. März 1849, ist veröffentlicht in der Großen Brandenburger Ausgabe: Theodor Fontane, Gedichte, Band 3: Gelegenheitsgedichte aus dem Nachlass, Hamlet-Übersetzung, Dramenfragmente, hg. von Joachim Krueger und Anita Golz, 2., durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin 1995, S. 21-27.

Eine unentbehrliche und solide Grundlage für die Fontaneforschung bilden:

Roland Berbig, Theodor-Fontane-Chronik, 5 Bände, Berlin – New York 2010 (mit detailliertem Nachweisen des Aufenthalts und der Tätigkeit Theodor Fontanes, die allerdings in wenigen Einzelfällen zu ergänzen und zu korrigieren sind);

Wolfgang Rasch, Theodor-Fontane-Bibliographie. Werk und Forschung, 3 Bände, Berlin – New York 2006 (jetzt auch online mit Ergänzungen: https://www.fontanearchiv.de/bestaende-sammlungen/digitale-sammlungen-kataloge/fontane-bibliographie/, 08.04.2019);

Fontane-Handbuch, hg. von Christian Grawe und Helmuth Nürnberger, Stuttgart 2000.

Für die Familiengeschichte unentbehrlich und materialreich ist: Manfred Horlitz, Theodor Fontanes Vorfahren. Neu erschlossene Dokumente – überraschende Entdeckungen, Berlin 2009.

Ernst-Otto Denk, Helmut Otto und Volker Panecke, Louis Henri Fontane. Leben und Schicksal eines Dichtervaters, Werneuchen 2017, veröffentlichen einige wichtige Quellen zum Leben von Louis Fontane, von den hier ausgewerteten S. 92-98 Abbildung von vier der fünf Seiten und gelegentlich fehlerhafte Transkription des Testaments von 1861, S. 110-111 die erste Seite des Testaments von Emilie Fontane von 1868, S. 112-115 Transkription des Kaufvertrags für die Letschiner Apotheke von 1838 nach einer anderen Abschrift mit kleinen Lesefehlern; auf S. 127 die genannte Zeichnung der Apotheke in Letschin.

Von den neueren Fontane-Biografien habe ich vor allem mit Gewinn herangezogen: Regina Dieterle, Theodor Fontane. Biografie, München 2018. Dort ist S. 282 die Anzeige in der Vossischen Zeitung vom 17./18. Juli 1848 mit dem Verkaufsangebot der Apotheke in Letschin zitiert.

Zur Einwohnerzahl von Letschin 1840 und den benachbarten Städten siehe: Topographisch-statistische Uebersicht des Regierungs-Bezirks Frankfurt a. d. O., aus amtlichen Quellen zusammengestellt, Frankfurt a. d. O., 1844, und Topographisch-statistische Uebersicht des Regierungs-Bezirks Potsdam und der Stadt Berlin, aus amtlichen Quellen zusammengestellt, Berlin 1841.

Der hier zum Nachlesen veröffentlichte Beitrag wurde im Juni 2019 in der Festgabe des Brandenburgischen Landeshauptarchivs „Arbeiten für das Gedächtnis des Landes“ veröffentlicht.