Provenienzforschung: Die „Seepredigt“ aus dem geraubten Besitz von Ernst und Gertrud Flersheim
- Erschienen amDie Provenienzforscherinnen im OFP-Projekt konnten das Gemälde „Seepredigt“ von Fritz von Uhde dem Besitz der Eheleute Flersheim zuordnen und den heutigen Standort des Gemäldes ausfindig machen.
Der Frankfurter Kaufmann Ernst Flersheim (1862–1944) musste 1937 mit seiner Frau Gertrud Flersheim, geb. von Mayer (1872–1944) in die Niederlande fliehen. Seit 1933 als Juden verfolgt, sahen sie ihre Existenz bedroht. Die Nationalsozialisten entzogen den Eheleuten am 22. Juni 1938 die deutsche Staatsbürgerschaft und beschlagnahmten ihr inländisches Vermögen. Mit der Veröffentlichung im Deutschen Reichsanzeiger im Februar 1939 galt es „als dem Reiche verfallen“. (Link zur digitalen Ausgabe des Reichsanzeigers in der Datenbank der Bibliothek der Universität Mannheim, hier zum Nr. 37, 13.02.1939, S. 1.
Die Verwertung in der Akte der Vermögensverwertungsstelle
Unter dem von den Nazis geraubten Vermögen der Eheleute Flersheim befand sich auch das Gemälde „Seepredigt“ von Fritz von Uhde – so geht es aus einer im Rahmen der Provenienzforschung im OFP-Projekt untersuchten Akte der Vermögensverwertungsstelle hervor. Die Erwähnung des Gemäldes in der Akte ist der Ausgangspunkt für weitere Recherchen. Die Provenienzforscherinnen filtern hierfür zunächst alle Informationen zum Prozess der Verwertung aus dieser Quelle.
Wie der Akte zu entnehmen ist, wurde das Finanzamt Moabit-West, das zu diesem Zeitpunkt noch reichsweit für die Verwertung jüdischen Eigentums zuständig war, durch den für die Vermögensabwicklung zuständigen Rechtsanwalt Fritz Mertens auf das Gemälde „Seepredigt“ aufmerksam gemacht. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Bild bei der Gemälde-Galerie Abels in Köln. Das Finanzamt Moabit-West verständigte die Kölner Galerie über den „Verfall des Vermögens“ der Eheleute Flersheim „an das Deutsche Reich“, worauf die Kunstgalerie das Gemälde im Mai 1940 zum vorab ermittelten Schätzpreis vom Finanzamt Moabit-West erwarb.
Mit dem Vermerk über die Einzahlung von 500 RM von Hermann Abels an die Finanzkasse des Finanzamt Moabit-West am 5. Juli 1940 endet die Überlieferung in der Akte. Die Liquidierung des jüdischen Eigentums in die NS-Staatskasse war abgeschlossen.
Über Google zum heutigen Standort
Verschiedene Online-Recherchen lieferten die wichtigen Hinweise zum heutigen Verbleib des Gemäldes.
Wie digitalisierte Auktionskataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg überliefern, war das Gemälde schon einmal in einer Auktion des Kunstversteigerungshauses Hugo Helbing am 11. Mai 1937 angeboten worden. Offenbar hatten es die Eigentümer Flersheim zusammen mit anderen Objekten in Vorbereitung ihrer Emigration eingeliefert. Es fand jedoch keinen Käufer und ging zurück. Diese Quelle war von enormer Bedeutung für die weitere Forschung, da sich in dem Auktionskatalog neben einem kunsthistorischen Apparat auch eine Abbildung des Gemäldes befand.
Jetzt konnte die eindeutige Zuordnung des Bildes zu einer Suchmeldung in der Lost Art-Datenbank und zu einem Vortrag (YouTube-Link) von Miriam Olivia Merz über das Sammlerehepaar Flersheim erfolgen. Die Identifikation des aktuellen Standortes ist der weiterführenden Google-Suche zu verdanken: In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2015 über die Ausstellung „München – Leuchtende Kunstmetropole (1870– 1918)“ in der Westböhmischen Galerie in Pilsen war das Gemälde publiziert worden. Neben dem Titel „Christus predigt am See Genezareth“ findet sich dort die Information: „[…] zählt heute zu den Beständen der Nationalgalerie Prag.“
Da die Sammlung der Nationalgalerie Prag zu großen Teilen digitalisiert ist, konnten unsere Forscherinnen das Gemälde dort in der Datenbank unter dem Titel „Kázání Kristovo na jezeře“ (Jesus’ Sermon on the Lake) finden. Angaben zur Provenienz sind in der Datenbank nicht enthalten.
Aufgrund der geografischen Nähe zum damaligen Protektorat Böhmen-Mähren ist zu vermuten, dass das Gemälde, das die Gemälde-Galerie Abels Köln gekauft hatte, über deren Dresdner Dependance in die Nationalgalerie Prag gelangt ist.