Spuren von Kunst in den Akten: Erna Freudenthal und Gertrud Grossmann
- Erschienen amOft sind in den Akten der Vermögensverwertungsstelle nur wenige konkrete Informationen über die entzogenen Kunst- und Kulturgütern enthalten. Für die Provenienzforschung ist es auf dieser Aktengrundlage kaum möglich, weitere Anhaltspunkte für den Verbleib der Gegenstände zu finden. Das zeigt beispielhaft der Fall der Schwestern Erna Freudenthal, geb. Dewitz (1881–1943), und Gertrud Grossmann, geb. Dewitz (1873–1943).
Die Schwestern Erna und Gertrud
Erna Freudenthal und Gertrud Grossmann bewohnten zusammen eine Wohnung in der Katharinenstraße 2 in Berlin-Halensee. Gertrud Grossmann war 1931 zu ihrer Schwester Erna gezogen, die bereits seit 1927 in der Wohnung lebte. 1938 musste Gertrud Grossmann im Zuge der „Arisierung“ ihr Wohnhaus in der Fasanenstraße 2 zwangsverkaufen. Mit dem Verkauf verlor sie die Mieteinnahmen und damit ihren Lebensunterhalt.
Erna Freudenthals Mann, Josef Freudenthal, ein erfolgreicher Stahlunternehmer, hatte seine Firma gewinnbringend verkauft. Dadurch konnte Erna auch nach dessen Tod 1921 „[…] einen grosszügigen Haushalt unterhalten und allein von den Zinsen des Vermögens […]“leben, wie ihre Schwiegertochter im Rahmen des Wiedergutmachungsprozesses erläuterte.
Ankündigung der Deportation und Flucht
Am 17. Juni 1942 kündigte ein Schreiben der Jüdischen Kultusvereinigung e. V. den Schwestern Erna Freudenthal und Gertrud Grossmann ihre bevorstehende Deportation an. Sie verließen daraufhin ihre Wohnung und tauchten im brandenburgischen Lychen unter.
Da die Schwestern nicht zum angesetzten Termin ihrer Deportation in der Sammelstelle Levetzowstraße eintrafen, führten die Behörden sie in ihren Unterlagen zunächst als „flüchtig“. Dennoch begannen die Gestapo und Vermögensverwertungsstelle unmittelbar mit der „Sicherstellung“ und „Verwertung“ des in der Wohnung befindlichen Besitzes auf Grundlage des Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens sowie des Gesetzes über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens und dem Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Verwertung des eingezogenen Vermögens von Reichsfeinden.
Das Wohnungsinventar
Als die Gestapo im Juli 1942 beabsichtigte, das Wohnungsinventar von Erna Freudenthal und Gertrud Grossmann zu beschlagnahmen, fand sie ein zerrissenes Siegel an der Wohnungstür vor, die mit einem Sicherheitsschlüssel geöffnet worden war.
Ein Großteil des Hausrats, insbesondere wertvolle Gegenstände, waren daraus entwendet worden. Nach Aussage der Gestapo berichtete eine Nachbarin, dass die Schwestern vor ihrer Flucht einige Gegenstände innerhalb des Wohnhauses verkauft oder eingetauscht hätten. Die noch in der Wohnung befindlichen Objekte wurden inventarisiert und Ende November 1942 vom Transportunternehmen Adolf Göritz zum Kottbusser Ufer gebracht.
Dort ließ die Vermögensverwertungsstelle den Hausrat der Schwestern mit anderen eingezogenen und beschlagnahmten Besitztümern am 21. Dezember 1942 zugunsten der Staatskasse in einer Sammelauktion versteigern. Zuvor waren sie vom eingesetzten Gutachter Ludwig Schmidt-Bangel taxiert worden. Er urteilte über das Versteigerungsgut: „Hochwertiges Kulturgut oder wertvolle Kunstschätze sind darin nicht vorhanden.“
Das Versteigerungsprotokoll
Laut dem Versteigerungsprotokoll befanden sich im Besitz von Erna Freudenthal und Gertrud Grossmann neben Möbeln, „Gebrauchsporzellan“, Wäsche und weiteren Gebrauchsgegenständen auch ein Samowar aus Messing, zwei Delfter Teller sowie mehrere „Bilder unter Glas“, eine Dante-Büste und ein Posten Bücher. Die kurzen und allgemeingehaltenen Bezeichnungen der Objekte in dem Protokoll erschweren die Recherche nach ihrem Verbleib. In der Akte finden sich keine zusätzlichen Angaben.
Ob es sich beispielsweise bei den „Bildern unter Glas“ um Kunstobjekte oder lediglich private Fotografien handelte, kann anhand der wenigen Informationen nicht abschließend festgestellt werden. Zwar sind für jeden versteigerten Gegenstand die Käufer*innen mit Nachnamen und Adresse verzeichnet, danach verliert sich jedoch die Spur der Gegenstände. Nach Abgleich der Namen und Adressen mit Einträgen in den Berliner Adressbüchern waren unter den Käufer*innen keine Kunst- oder Antiquitätenhändler*innen und die Gegenstände gelangten in Privathaushalte.
Deportation und Tod
Im Frühjahr 1943 wurden Erna Freudenthal und Gertrud Grossmann schließlich aufgegriffen und nach Auschwitz deportiert, wo Erna Freudenthal am 17. Mai 1943 und Gertrud Grossmann am 28. Juni 1943 wohl direkt nach ihrer Ankunft ermordet wurden.
Ein großer Teil ihrer Familien konnte rechtzeitig emigrieren und überlebte die Verfolgung. Ein Sohn von Erna Freudenthal sowie dessen Ehefrau und fünfjährige Tochter wurden jedoch ebenfalls nach Auschwitz deportiert und ermordet. Der jüngste Sohn von Gertrud Grossmann wurde nach Auschwitz II – Monowitz deportiert, wo er als Lagerarzt arbeiten musste. Er kam im Januar 1945 nach Mauthausen, überlebte die Shoah, starb jedoch 1953 an den Folgen der Inhaftierung.
Recherche in Nachkriegsquellen
In den Akten der Wiedergutmachungsämter macht die Schwiegertochter von Erna Freudenthal Angaben zu ihrem Besitz: Erna Freudenthal besaß eine wertvolle Schmucksammlung, über die die Schwiegertochter in einer eidesstattlichen Versicherung genaue Angaben machen konnte. Über das umfangreiche Tafelsilber und die Wohnungsausstattung äußerte sie sich hingegen nur allgemein. Auf Grundlage der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 musste Erna Freudenthal Gold, Silber und Edelsteine bei der Pfandleihanstalt abgeben.
Nach den reichsweiten Pogromen ab dem 9. November 1938 musste sie zudem die sogenannte Judenvermögensabgabe leisten, sodass ihr danach, wie sie selbst in einem Brief vom 3. Dezember 1938 schrieb, „kaum genug“ zum Leben blieb. Dieser Brief ist in Anträgen auf Entschädigung beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erhalten.
Grenzen der Provenienzrecherche
Die Akte von Erna Freudenthal und ihrer Schwester Gertrud Grossmann zeigt beispielhaft die Grenzen der Provenienzforschung an den Akten der Vermögensverwertungsstelle. Aufgrund der wenigen in den Dokumenten enthaltenen Informationen zu den Objekten aus dem Besitz der Schwestern kann ihr heutiger Verbleib nicht weiter recherchiert werden.
Nach der Auswertung der Akte und Recherchen in ergänzenden Quellen zu den Personen, Ereignissen und Umständen ist dennoch nicht auszuschließen, dass Kunst- oder Kulturgüter einst im Besitz der Familien Freudenthal/Grossmann waren, die verfolgungsbedingt entzogen wurden oder unter Zwang verkauf werden mussten.
Dieser Fall weist einige Parallelen zur Akte von Elisabeth Cohn auf, die ebenfalls im OFP-Projekt ausgewertet wurde.