Interview: Erschließungsdaten der NS-Vermögensverwertungsstelle veröffentlicht
- Erschienen amDie rund 42.000 Datensätze zu personenbezogenen Einzelfallakten aus dem Bestand der Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg sind überarbeitet und erstmals in der Online-Recherche des Brandenburgischen Landeshauptarchivs veröffentlicht. Forschende können jetzt nach Namen, Adressen, Geburtsdaten und früheren Aktenzeichen suchen.
Der Veröffentlichung ging eine umfangreiche Überarbeitung der Daten voraus: Diese mussten aus der Vorgängerdatenbank übertragen, einzeln geprüft und vereinheitlicht werden.
Was bedeutet die Veröffentlichung für die Forschung am Bestand? Vier Fragen an den für die Revision zuständigen wissenschaftlichen Archivar Dominic Strieder:
Um was für einen Bestand handelt es sich?
Wir sprechen hier von den Datensätzen zu etwa 42.000 Akten des „Berliner Teils“ der Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg, die während ihres Bestehens bis 1945 angelegt und teilweise auch von der Vorgängerdienststelle, dem Finanzamt Moabit-West, eröffnet wurden.
Diese Akten erfassen einen Großteil der Personengruppen, die der NS-Staat als Gegner definiert hat. Wir finden in den Akten also Menschen die als Jüdinnen und Juden verfolgt wurden, Sint*ezza und Rom*nia, politische Gegner*innen, KZ-Häftlinge und auch Zwangsarbeiter*innen, deren Vermögen zugunsten des NS-Staates eingezogen wurde. Berliner Teil meint, dass es vorrangig um Akten zu Verfolgten mit letztem Wohnsitz in Berlin geht.
Was können Interessierte jetzt genau online finden, welche Angaben sind in den Erschließungsdaten enthalten?
Zu jeder der vorliegenden Akten sind die Angaben zur Hauptperson vollständig durchsuchbar. Dies umfasst den Namen, die Geburtsdaten und die letzten Wohnorte in Berlin vor der Emigration oder Deportation. Zusätzlich sind auch die in den Unterlagen erwähnten Familienmitglieder, und auch weitere Adressen recherchierbar, die in den Akten auftauchen. Das können wie in dem untenstehenden Beispiel die Wohnadresse von Arthur Wolff und die Firmenadresse der Firma Kleinemann und Wolff GmbH bzw. der Firma William Wolff sein, die im Enthältvermerk erfasst sind. Diese sind aber nicht miteinander verknüpft.
Auch die historischen Aktenzeichen der Vermögensverwertungsstelle, die einen Verweis zu den Wiedergutmachungs- und Entschädigungsunterlagen herstellen, haben wir erfasst. Diese Informationen sind nun vollständig durchsuchbar und helfen dabei, weitere Unterlagen im Brandenburgischen Landeshauptarchiv zu den gesuchten Personen zu finden. Zusätzlich erlauben diese auch einen sachthematischen Zugang zu den Akten.
Einschränkungen in den Datensätzen bestehen ausschließlich für Personen, bei denen personenbezogenen Schutzfristen nach dem Brandenburgischen Archivgesetz bestehen, also all jene Personen die nach dem 06.02.1933 geboren wurden und deren Schicksal ungeklärt ist, bzw. bei denen gesicherte Erkenntnisse bezüglich ihrer Emigration oder des Überlebens im Versteck vorliegen. Dies betrifft aber lediglich 44 der knapp 42.000 Datensätze. Diese Datensätze werden mit Ablauf der gesetzlichen Schutzfristen ebenfalls zur Recherche freigegeben.
Wir bitten Sie daher bei Recherchen zu Personen, die nach dem vorgenannten Datum geboren sind und für die Sie keine Treffer in der Onlinedatenbank erhalten, eine schriftliche Anfrage an das Brandenburgische Landeshauptarchiv zu stellen.
Neben der Suche nach Einzeldatensätzen in unserer Online-Recherche erhalten Interessierte auf Anfrage einen Excel-Export sämtlicher veröffentlichten Daten, um diese für quantitative Forschungsdesigns oder ähnliches nutzen zu können.
Was ist das Besondere an diesem Bestand?
Der Teilbestand der personenbezogenen Einzelfallakten hat auf mehreren Ebenen besondere Relevanz. Zuvorderst ist die Bedeutung für die familiengeschichtliche Forschung und die Holocaustforschung zu nennen. Die Akten der Deportierten stellen durch die meist eigenhändig unterschriebenen Vermögensverzeichnisse oft das letzte überlieferte Lebenszeichen vor der Vernichtung dar.
Zudem geben diese Vermögensübersichten einen Einblick in die Wohn- und Lebensverhältnisse der Verfolgten. Die zum Teil nach der Abwicklung der Vermögensverwertungsstelle zu den Akten gelangten Schriftstücke und Anfragen bei sogenannten Wiedergutmachungs- und Entschädigungsverfahren verweisen zusätzlich auf den oft beschwerlichen und langen Weg von Betroffenen oder Hinterbliebenen zur Erstattung des materiellen Verlusts und weisen den Weg zu den sich in anderen Archiven und Behörden befindlichen Akten.
Damit wären wir schon bei der zweiten Bedeutungsebene angelangt. Die Akten sind auch heute noch wichtige Beweisstücke, wenn es darum geht Rechtsansprüche auf geraubtes Eigentum geltend zu machen. Sie haben also auch rechtssichernden Charakter. Deshalb ist der Bestand auch für das Provenienzforschungsprojekt am Landeshauptarchiv von solch großer Bedeutung. So können zum Beispiel Provenienzlücken bei Raubkunst anhand von Versteigerungsprotokollen und Gutachten geschlossen werden.
Neben diese beiden Ebenen tritt die Beschäftigung mit den Täter*innen und der Täter*innengesellschaft. Die Akten geben umfangreichen Aufschluss über die nationalsozialistische Verwaltungspraxis beim staatlich institutionalisierten Raub und damit auch über den Umfang angeeigneter Werte zugunsten des Deutschen Staates. Daneben lassen sie aber auch Einblicke in die Haltung der Täter*innengesellschaft zu, indem sie dokumentieren, inwieweit die Mehrheitsgesellschaft beispielsweise durch die Zuteilung von Wohnungen oder Hausrat profitierte und mit welchen Begründungen Ansprüche darauf an die Behörden herangetragen wurden.
Wie geht es weiter? Ist es geplant, Digitalisate zu veröffentlichen?
Neben den Erschließungsdaten zu den personenbezogenen Einzelfallakten des Bestandes Rep 36A OFP (II) veröffentlicht das Landeshauptarchiv auch die bereits vorliegenden Metadaten zu den im Teilbestand Rep. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg überlieferten Einzelfallakten zu Brandenburger Verfolgten.
Ergänzend dazu sollen die weiteren zum OFP Berlin-Brandenburg gehörenden Bestandsteile, wie die Akten der Devisenstelle nach und nach verzeichnet und veröffentlicht werden.
Die Online-Stellung der im Projekt erstellten Digitalisate ist, wie auch die Veröffentlichung der Erschließungsangaben, ein Ziel des OFP-Projekts. Derzeit prüfen wir die Rahmendbedingungen und Möglichkeiten einer solchen Veröffentlichung. Am Ende des Projekts sollen aber so viele Digitalisate, wie möglich frei online zugänglich sein.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal explizit darauf hinweisen, dass die online verfügbaren Erschließungsangaben nur einen Ausschnitt des Bestandes des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg abdecken. Sollten Sie bei Ihrer Onlinerecherche also keinen Treffer erzielen, hilft Ihnen das Team des Landeshauptarchivs gerne weiter. Sie müssen dafür lediglich eine schriftliche Anfrage mit Ihrem Anliegen an poststelle@blha.brandenburg.de senden.
Zur Beschreibung des Bestandes
*Nach Brandenburgischem Archivgesetz gilt bei personenbezogenen Unterlagen eine Schutzfrist von zehn Jahren nach Tod der genannten Personen. Ist das Todesjahr nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand feststellbar, endet die Schutzfrist neunzig Jahre nach der Geburt. Ist auch das Geburtsjahr dem Archiv nicht bekannt, endet die Schutzfrist für personenbezogenes Archivgut sechzig Jahre nach Entstehung der Unterlagen. (BbgArchivG §10 Abs. 3)