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Wer war Elisabeth Cohn (1862–1943)? Wege einer Recherche

- Erschienen am 04.05.2023
Bild vergrößern: Ausschnitt aus Berliner Lokal-Anzeiger vom 24. Januar 1943 mit Ankündigung einer Versteigerung

Ein Fall, den die Provenienzforschung im OFP-Projekt recherchiert, ist der von Elisabeth Cohn (1862–1943). Cohn lebte in Berlin und wurde von dort aus im November 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Ihren umfangreichen Besitz beschlagnahmten und verwerteten die NS-Finanzbehörden ab Januar 1943. Für Elisabeth Cohn ist im Landeshauptarchiv unter der Signatur Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977 eine Akte zu diesem Vorgang überliefert.

Interessen des Oberkommandos des Heeres

In der Akte der Vermögensverwertungsstelle finden sich Korrespondenzen des Oberkommandos des Heeres (OKH). Im Januar 1943 meldete sich Oberst Maisel vom OKH bei der Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg. Er fordert die Durchführung der Freistellung der Wohnung von Elisabeth Cohn am Hansa-Ufer 8 in Berlin. Dabei geht es ihm vor allem um den Erwerb von Einrichtungsgegenständen aus dieser Wohnung. Ebenso fragt das OKH nach einem Verkauf von Möbeln an einen Oberfeldwebel an.

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Anschreiben Oberst Maisel, Oberkommando des Heeres, Chef d. Amtsgruppe P 2, an den OFP Berlin-Brandenburg vom 6. Januar 1943. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 20

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Anschreiben Oberkommando des Heeres, Heerespersonalamt an den OFP Berlin-Brandenburg vom 6. Januar 1943. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 27

Um herauszufinden, welche Gegenstände das OKH haben wollte, waren weitere Recherchen in der Akte notwendig.

Im Fall von Elisabeth Cohn lässt sich nachverfolgen, dass es nach der Anfrage von Vertretern des Oberkommandos des Heeres zu Freihandverkäufen der angefragten Gegenstände an ebendiese kam. Die Vermögensverwertungsstelle gab die Möbel frei und verkaufte beispielsweise zwei Kleiderschränke und Ledermöbel. Auch Bilder waren darunter, die sich bis dato aber nicht näher identifizieren ließen. In der Akte sind weitere Freihandverkäufe an andere Personen dokumentiert, die privilegiert behandelt wurden, da sie entweder Ehefrauen von Soldaten oder in anderer Weise „kriegswichtig“ waren. Für den Dienstgebrauch gingen zudem Büromöbel an die Vermögensverwertungsstelle des OFP.

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Freihandverkauf der Vermögensverwertungsstelle an Oberfeldzahlmeister Klein i. A. von Oberst Maisel, Oberkommando des Heeres vom 7. Januar 1943. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 24

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Freihandverkauf der Vermögensverwertungsstelle an Oberfeldzahlmeister Klein i.A. von Oberfeldwebel Kraft vom 7. Januar 1943. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 25

Kunstobjekte im Inventarverzeichnis

Die freihändig verkauften Objekte konnten wir mit den in der Akte ebenfalls erhaltenen Inventar- und Bewertungsbögen abgleichen, die am 14. und 20. Dezember 1942 von Beamten der Reichsfinanzverwaltung in der Wohnung am Hansa-Ufer 8 angefertigt wurden. Die Einsicht ergab, dass sich eine nicht geringe Anzahl von Bildern (in den meisten Fällen Gemälde) in der Wohnung befunden haben.

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Inventar- und Bewertungsbogen vom 22. Dezember 1942, ausgefüllt vom Beamten der Reichsfinanzverwaltung Richard Fuß und dem Sachverständigen Richard Altendorff. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 17

Schon in der Vermögenserklärung von Elisabeth Cohn vom 22. Oktober 1942, die sie vor ihrer bevorstehenden Deportation ausfüllen musste, sind unter dem Abschnitt Kunst- und Wertgegenstände „49 Ölgemälde, 17 Gravuren und div. Kunstgegenstände“ angegeben. Bei der Wohnung am Hansa-Ufer 8 handelte es sich um eine große 8-Zimmer Wohnung.

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Vermögenserklärung von Elisabeth Cohn vom 22. Oktober 1942. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 7

Während der weiteren Recherchen ergab sich, dass die nach den Freihandverkäufen noch vorhandenen Gegenstände, darunter auch die Kunstobjekte, im Januar 1943 an das Versteigerungslokal des OFP Berlin-Brandenburg am Kottbusser Ufer 39/40 geliefert wurden.

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Notiz OFP Berlin-Brandenburg vom 22. Januar 1943, dass Gegenstände aus der Wohnung Hansa-Ufer 8 an das Versteigerungslokal geliefert wurden. BLHA Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 38

Dort schätzte der Sachverständige Ludwig Schmidt-Bangel die Kunstobjekte. Am 25. Januar 1943 versteigerten die Finanzbehörden die Kunstobjekte gemeinsam mit den restlichen Einrichtungsgegenständen – der  Finanzbehördenangestellte Paul Korge führte die Auktion durch. Die Versteigerungsniederschrift listet unter anderem Namen und Wohnort der Käufer und Käuferinnen auf, bei denen wir einige als Inhaber von Kunst- und Antiquitätenhandlungen identifizieren konnten. Die Versteigerung wurde zuvor über den Berliner Lokal-Anzeiger beworben mit „Originalgemälden der Münchener Schule […] und eine Partie Oelkopien nach modernen und alten Meistern […]“

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Schätzung des Sachverständigen Ludwig Schmidt-Bangel VOM 23. Januar 1943. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 67

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Anzeige im Berliner Lokal-Anzeiger vom 24. Januar 1943. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 74

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Versteigerungsprotokoll OFP Berlin-Brandenburg, Kottbusser Ufer 39/40 vom 25. Januar 1943. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 46

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Versteigerungsprotokoll OFP Berlin-Brandenburg, Kottbusser Ufer 39/40 vom 25. Januar 1943. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 47 Rückseite

Vorgehen der Provenienzforschung

Auf Grundlage dieser verschiedenen Überlieferungen, haben wir eine Konkordanztabelle erarbeitet, in der wir die vorhandenen Informationen zu den Kunstobjekten aus der Akte vergleichend zusammentragen konnten. Diese Gegenüberstellungen zeigen, dass Elisabeth Cohn vor allem Objekte von Künstlern und Künstlerinnen der Münchner Schule und Kopien von Altmeistern besaß. Die Identifizierung der Original-Werke der Münchner Schule gestaltet sich als schwierig, da viele der Bildsujets von den Künstlern und Künstlerinnen mehrmals gemalt wurden.

Im nächsten Schritt sind weitere Recherchewege nötig. Dazu zählt unter anderem die Einsicht in die Wiedergutmachungs- und Entschädigungsakten im Landesarchiv und Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) Berlin. Dies ist ein wichtiger Schritt für weitere Forschungen im OPF-Projekt, da dort noch mehr Informationen zu Objekten und Biografien der betreffenden Personen zu finden sein können.

Zu Elisabeth Cohn existieren einige Wiedergutmachungsverfahren, die von ihren Neffen und Nichten beantragt wurden. Die Akten konnten jedoch keine weiteren entscheidenden Anhaltspunkte geben. Die Käufer und Käuferinnen, die in der OFP-Versteigerung auftauchten und ausfindig gemacht werden konnten, wurden von den Wiedergutmachungsgerichten kontaktiert. Diese gaben aber entweder an, dass die Werke zerstört, sie nicht bei der Versteigerung gewesen seien oder sie selbst hätten im Falle einer Herausgabe ein Recht auf Entschädigung. Es kam zu keiner Restitution.

Wer war Elisabeth Cohn?

Während der Recherche zu Elisabeth Cohn und ihrem Besitz, stellte sich immer wieder die Frage: Wer war Elisabeth Cohn? Was man durch die OFP-Akte in Verbindung mit Wiedergutmachungs- und Entschädigungsakten in Erfahrung bringen konnte, ist wenig:

Elisabeth Cohn, geboren am 27. Mai 1862 in Anklam, wurde am 4. November 1942 mit dem 71. Alterstransport von der Großen Hamburger Str. 26 in Berlin, nach Theresienstadt deportiert, wo sie im Dezember 1943 ermordet wurde.

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Abbildung 12 Welle 36 – Alterstransporte 71-73 nach Theresienstadt, 04.11.194 – 06.11.1942. Arolsen Archives https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/127207496?s=Elisabeth%20Cohn&t=228858&p=35

Die Verfügung über die Einziehung ihres Vermögens erfolgte auf Grundlage des „Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens“ vom 26. Mai 1933 in Verbindung mit dem „Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens“ vom 14. Juli 1933 und dem Erlass des Führers „über die Verwertung des eingezogenen Vermögens von Reichsfeinden“ vom 29. Mai 1941.

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Verfügung vom 01. November 1942. BLHA, Rep. 36 A OFP Berlin-Brandenburg (II) Nr. 5977, Bl. 10

Die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz griff hier nicht, da Theresienstadt zum Deutschen Reich zählte. Zusätzlich hatte Elisabeth Cohn im Oktober 1942 einen sogenannten Heimeinkaufvertrag mit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland abgeschlossen (zu finden im Bundesarchiv Berlin, R 8150/581).

Elisabeth Cohn war verheiratet mit Leopold Cohn, einem Kaufmann, der 1939 in Berlin verstarb. Leopold Cohn war spätestens ab 1934 Inhaber der Firma „Papier Bürobedarf G.m.b.H.“ in der Kommandantenstr. 68/69, die im Jahr 1937 von einem Herrn Hauptmann übernommen wurde. Die Ehe war kinderlos. In den Wiedergutmachungs- und Entschädigungsverfahren treten daher Neffen und Nichten als Erben und Erbinnen von Elisabeth Cohn in Erscheinung.

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Auszug Berliner Adressbuch 1934, Branchen-Verzeichnis, Bürobedarf. ZLB https://digital.zlb.de/viewer/image/34115495_1934/3029/

Suche in der Sackgasse

Die Erben konnten in ihren Aussagen aber keine weiteren Angaben zu den Kunstobjekten ihrer Tante Elisabeth Cohn machen, auch fehlen Abbildungen. Einzig, dass Elisabeth Cohn eine wohlhabende Frau war und eine große luxuriös eingerichtete Wohnung bewohnt hat, können sie angeben.

Der Fall Elisabeth Cohn zeigt, wie schwer es ist, nach zu Kunst- und Kulturgut zu recherchieren, wenn betroffene Personen in den Nachkriegsunterlagen selbst keine Angaben mehr machen konnten, da sie ermordet wurden und die überlebenden Nachfahren nur über wenige Informationen verfügen. Die Recherche kommt in diesem Fall also erst einmal nicht weiter. Dass einige der Kunstobjekte später in öffentliche Einrichtungen gelangt sind, kann nicht ausgeschlossen werden.