Die Landesgründung in Dokumenten #04

Krise in der Lebensmittelwirtschaft


Mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vom 1. Juli 1990 verbanden die DDR-Bürger die Hoffnung, der bundesdeutsche Wohlstand würde nun auch bei ihnen Einzug halten. Es folgten jedoch eine Reihe wirtschaftlicher Schocks und eine schwere Transformationskrise, die vielen als ein traumatischer Anpassungsprozess in Erinnerung geblieben ist: Die Ostwirtschaft hatte sich über Nacht auf die Markt- und Wettbewerbswirtschaft einzustellen und die Regelsysteme der Bundesrepublik zu adaptieren. Die Betriebe wurden schlagartig dem internationalen Wettbewerb der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der westlichen Industrieländer ausgesetzt. Zugleich brach ein bedeutender Absatzmarkt zusammen: der Außenwirtschaftshandel mit den sozialistischen Staaten. Erschwerend kam hinzu, dass sich die Ostdeutschen bei Automobilen, Konsumgütern, Unterhaltungselektronik, Kleidung, Nahrungsmitteln und Südfrüchten stark für Westprodukte interessierten.

Die Produktion in Ostdeutschland sank von 1990 bis 1991 um 37 Prozent. Fast 15 Prozent aller Erwerbstätigen waren von 1991 bis 1995 arbeitslos. Weitere 15 Prozent waren im Vorruhestand, schulten um oder nahmen an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teil.

Ein Bericht aus dem Bezirk Potsdam schildert die Situation der Lebensmittelwirtschaft im Juli 1990. Beispielsweise fehlte es den fleischerzeugenden Betrieben an Bekanntheit auf dem europäischen Markt. Sie waren zudem nicht in der Lage, EG-Standards bei der Produktion und Verpackung einzuhalten. Die Absätze sanken rapide, der innerdeutsche Handel funktionierte nur als „Einbahnstraße“ in Richtung Ostdeutschland, die Exporte in die Sowjetunion gingen stark zurück und selbst der „ambulante Handel“ auf regionalen Märkten und Zeltplätzen sowie mit Sonderangeboten in Kaufhallen konnte Kurzarbeit und Entlassungen nicht verhindern.


JahrRinderSchweineSchafeGeflügel
19891 232 6642 858 192420 85812 421 533
19901 071 2242 049 224226 4988 158 721
1991781 0281 086 162178 318k. A.
1992684 3241 038 425122 5185 605 511
1993675 432968 860125 047k. A.
1994698 294761 594122 2915 842 016
Viehbestände auf dem Gebiet des Landes Brandenburg 1989-1991, Quelle: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik (LDS) Brandenburg, Statistisches Jahrbuch 1995, S. 214.

Archivfakt
Für eine Übergangszeit arbeiteten die Bezirksverwaltungsbehörden als Rechtsnachfolger der Räte der Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam im Sinne einer Auftragsverwaltung weiter. Die Bezirksverwaltungsbehörden richteten regional zuständige Ressortverwaltungen ein, die die Bildung des Landes Brandenburg vorbereiteten. Sie wurden am 31. Juli 1991 aufgelöst. Diese Unterlagen befinden sich in den Beständen Rep. 401 Rat des Bezirkes Potsdam, Rep. 601 Rat des Bezirkes Frankfurt (Oder) und Rep. 801 Rat des Bezirkes Cottbus in einem gesonderten Klassifikationspunkt.

Zur Akte in der Online-Datenbank (Datensatz)

BLHA, Rep. 401 Bezirkstag und Rat des Bezirkes Potsdam Nr. 36720

Weiterführende Quellen

BLHA, Rep. 401 Bezirkstag und Rat des Bezirkes Potsdam Nr. 36750, Planung der Agrarentwicklung im zukünftigen Land Brandenburg, Juli 1990 – Sept. 1991

Zu den Beständen

BLHA, Rep. 401 Bezirkstag und Rat des Bezirkes Potsdam, 11. Bezirksverwaltungsbehörde (Systematikpunkt)

BLHA, Rep. 601 Bezirkstag und Rat des Bezirkes Frankfurt (Oder), 11. Bezirksverwaltungsbehörde (Systematikpunkt)

BLHA, Rep. 801 Bezirkstag und Rat des Bezirkes Cottbus, 11. Bezirksverwaltungsbehörde   (Systematikpunkt)

Weiterführende Informationen

Dieter Grosser, Das Wagnis der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion: Politische Zwänge im Konflikt mit ökonomischen Regeln (Geschichte der deutschen Einheit, Bd. 2), Stuttgart 1998.

Manfred Wegner, Bankrott und Aufbau. Ostdeutsche Erfahrungen, Baden-Baden 1995.

Gerlinde Sinn/Hans-Werner Sinn, Kaltstart, volkswirtschaftliche Aspekte der deutschen Vereinigung, München 1993.

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