Provenienzforschung: Pilotprojekt zur Digitalisierung und Auswertung von 42.000 NS-Akten im Brandenburgischen Landeshauptarchiv startet

Original-Aktendeckel aus der "Vermögensverwertungsstelle" zu Paul Kempner

Potsdam, 17. November 2020Im Rahmen eines mit rund 3,6 Millionen Euro geförderten Pilotprojekts wird das Brandenburgische Landeshauptarchiv (BLHA) die ca. 42.000 Akten der NS-Vermögensverwertungsstelle Berlin-Brandenburg restauratorisch sichern und für Forschung und Öffentlichkeit digital zugänglich machen. Parallel zu einer systematischen elektronischen Erschließung soll die wissenschaftliche Auswertung der historischen Unterlagen Aufklärung über den Entzug und Verbleib von Kulturgut leisten, das im Zuge der NS-Verfolgung beschlagnahmt wurde.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste und das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (MWFK) finanzieren das Projekt gemeinsam. Mit rund 3,3 Millionen Euro trägt die BKM den größten Anteil der Förderung.

Ergebnisse sollen helfen, Provenienzlücken zu schließen

Dr. Irena Strelow, Leiterin der Provenienzforschung im Brandenburgischen Landeshauptarchiv: „Für die Provenienzforschung sind insbesondere die in den Akten überlieferten Profiteure des nationalsozialistischen Kunstraubes bedeutsam, die in den Zusammenhang mit heutigen öffentlichen Institutionen gebracht werden können. Sie sollen durch eine elektronische Fallsuche ermittelt werden. Die Ergebnisse können helfen, Provenienz-Lücken in öffentlichen Einrichtungen zu schließen, in deren Beständen NS-Raubkunst zu vermuten ist. Aus meiner Sicht ist die Aufdeckung systematischer Strukturen bei der Verwertung jüdischen Eigentums der wichtigste Beitrag für die Provenienzforschung.“

Neben den für die Provenienzforschung wichtigen Informationen zum NS-Kunstraub und zu heutigen Standorten entzogenen Kulturguts enthalten die in Potsdam vorhandenen Verwaltungsakten der sogenannten Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg Hinweise zum Verfolgungsschicksal der Deportierten und Ermordeten. Sie sind für Angehörige, Rechtsnachfolger und die Wissenschaft weltweit von Bedeutung.

Dokumente erhalten und für die Forschung digital nutzbar machen

Die rund 2,4 Millionen Aktenseiten des Bestandes müssen zunächst begutachtet, gereinigt, gegebenenfalls restauriert und anschließend digitalisiert werden. In Zusammenarbeit mit der Provenienzforschung im Landeshauptarchiv entwickeln IT-Experten eine Anwendung, mit deren Hilfe die digitalisierten Unterlagen themenorientiert elektronisch ausgewertet werden. Die durch die Auswertung und wissenschaftliche Provenienzforschung erarbeiteten Ergebnisse werden an die Rechtsnachfolger der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung – soweit bekannt – und an diejenigen öffentlichen Einrichtungen und Museen weitergegeben, die nach Aktenlage Kunstobjekte aus ehemaligem jüdischem Besitz erworben haben.

Ein weiteres Ziel ist es, die Ergebnisse und Quellen einer breiten Öffentlichkeit zur wissenschaftlichen Nachnutzung zugänglich zu machen. Forscherinnen und Forscher sollen zukünftig mit diesem für die Holocaust-Forschung zentralen Bestand arbeiten können, ohne dafür nach Potsdam in den Lesesaal des Landeshauptarchivs reisen zu müssen. Das Projekt soll bis Ende 2023 abgeschlossen sein.

„Mit diesem Projekt sichern wir nicht nur einen international bedeutenden Quellenbestand des Archivs. Wir bewahren die Erinnerung an zehntausende Menschen“, so Prof. Mario Glauert, Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs. „Die elektronische Bereitstellung und Analyse der Akten wird spannende Zugänge für eine Forschung mit digitalen Werkzeugen eröffnen. Das Pilotprojekt entwickelt interdisziplinäre Methoden, die für viele weitere Aktenbestände der NS-Zeit genutzt werden können.“

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